Juan Gelman: COM/POSICIONES & DIBAXU (DEBAJO) - KOM/POSITIONEN & DARUNTER
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COM/POSICIONES & DIBAXU (DEBAJO) - KOM/POSITIONEN & DARUNTER
Gedichte, dreisprachig: Spanisch - Sephardisch (tw.) - Deutsch
ISBN 978-3-927648-48-7
Broschur mit Klappenumschlag
201 Seiten
14 × 21 cm
17,50 Eur[D] / 18,50 Eur[A/CH]
Zwei Einzeltitel aus den Jahren 1984-1985 und 1983-1985 in einem Band. Umschlaggestaltung von Juana Burghardt. Aus dem argentinischen Spanisch und Sephardischen von Juana & Tobias Burghardt. Mit einem Nachwort von Tobias Burghardt
Edition Delta, Stuttgart
wie heißt du?/
ich bin ein Blinder am Boden
im Vorhof meines Verlangens/
und bettle um Zeit/
ich lache vor Leid/
weine vor Freude/
welches Wort spricht dich aus?/
welcher Name wird dich nennen?/
Stimmen
Weltempfänger
Im Frühjahr 2014 gelangte der neue Doppelband kom/positionen & darunter - com/posiciones & dibaxu (debajo) von Juan Gelman auf den 2. Platz der Litprom-Bestenliste Weltempfänger, Nr. 22. In der Begründung der Jury hieß es: "Als Menschenrechtsaktivist weltberühmt, war der kürzlich verstorbene Juan Gelman einer der großen Dichter Lateinamerikas. In seinem letzten Gedichtband nimmt er kühn den Dialog mit Dichtern vergangener Jahrhunderte auf, deren Werk er, wie das von jüdischen Mystikern und islamischen Sängern der Lebenslust, in seiner eigenen hochpoetischen Sprache lebendig werden lässt." (Karl Markus Gauß)
litprom (Literaturen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der Arabischen Welt)
Im Gemurmel der Sonne
Wie hört sich eigentlich die Stimme des Anderen an? Ist es die Stimme des Geliebten, eines Nachbarn – oder sogar die Stimme der Poesie? Für den argentinischen Dichter Juan Gelman jedenfalls lässt sich diese Stimme nur in einem Bild fassen: «ein verschneiter Vogel / pickt Weizen / im Gemurmel / der Sonne». Auf kleinstem Raum bündelt Gelman hier verschiedenste Sprech- und Wahrnehmungsweisen. Wie in einem Prisma brechen sich die Perspektiven und lassen sich doch – zu unserem Leseglück – niemals auflösen.
«Darunter» hat Gelman seine knappe Sammlung von Liebesversen genannt, die er um 1985 verfasst hat. Nicht etwa in heutigem Spanisch, sondern in sephardischem Altspanisch, jener «Sprache der Familie, der Verstecke, der Geheimnisse und der Schrecken», wie es die französische Dichterin Clarisse Nicoïdski umschrieben hat. Das Buch ist vor einigen Jahren schon einmal in kleiner Auflage auf Deutsch erschienen, nun liegt es in einem Doppelband neu vor. Zu entdecken gibt es hier nicht nur pickende Wintervögel, sondern auch Gelmans Suche nach dem Ursprung der Sprache, «von ihrem brennendsten Ort aus, der Poesie».
Seine Erkundungen an den Rändern der Sprache haben den 1930 geborenen Juan Gelman immer wieder zu abgelegenen Wortspeichern geführt. Noch spannender als die sephardischen Verse sind seine «Kom/positionen» aus fremden und eigenen Worten, die den zweiten Teil des vorliegenden Bandes ausmachen. Was man sich unter einer «Kom/position» im Detail vorzustellen hat, lässt Gelman offen. «ich legte dinge von mir in die texte, die grosse dichter vor jahrhunderten schrieben.» Tatsächlich zeigt er sich als ein Künstler der Anverwandlung. Es mag sich um das Buch der Psalmen handeln oder um Verse des arabischen Dichters Abu Nawas – Gelman nimmt sich der Texte an und beginnt mit ihnen ein Gespräch. Das kann etwa so aussehen, dass er die ersten Zeilen aus einem Stück der mystischen Hekhalot-Hymnen fast wörtlich anführt, um dann in einer geschickten Metamorphose des Tons einen Gesang über die Geliebte anzustimmen – «wie soll man mit so viel Leuchten leben?».
Andernorts bleibt Gelman sehr nah an seiner Übersetzung des ursprünglichen Textes und speist vor allem seinen Rhythmus in die Verse ein. Oder er denkt sich – wie vor ihm Pessoa – den fremden Dichter einfach aus. Bei alledem holt er in den Reflexionen der Texte nicht zuletzt seine eigene Situation ein: die eines Dichters im Exil. Die Verwerfungen der argentinischen Militärdiktatur, die ihn zur Flucht nach Europa zwangen, lässt er etwa in einem «Protestlied» aufleuchten, das er einem Dichter aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert ablauscht: «Behüte mich vor dem Haus von Boeto / behüte mich vor seinen Knüppeln.»
Meist aber verwandelt er die Verse in Hymnen über die Liebe. So entstehen grossartige Gedichte, in denen stets mehrere Stimmen zu hören sind. Auf wundersame Weise begibt sich Juan Gelman auf die Suche nach einem transzendenten Wesen. Dabei verwendet er mystische Redeweisen wie Litaneien, Fragen oder paradoxe Figuren, die wenigstens spürbar machen sollen, was sich der Sprache eigentlich entzieht. Die beiden Übersetzer Juana und Tobias Burghardt haben Gelmans alchemistische Variationen über das Licht gut im Deutschen eingefangen: «Mischte man jenes Licht mit dem Licht / erzeugte ihre Verbindung ein anderes Licht / das ungesehene / das letzte.» Nur manchmal ist die Wortwahl ein wenig zu historisierend (etwa wenn sie «furias» mit «Erzürnungen» übersetzen oder «monte» mit «Waldung»). Aber das sind Kleinigkeiten. Die besten Zeilen entfalten jenen Zauber, den Abu Nawas einmal für seine Gedichte prophezeit hat: «Und meine Verse werden mehr Flug und Musik haben / als alle Gärten Bagdads.»
Nico Bleutge (NZZ - Literatur, 17. Dezember 2013)
Juan Gelman
Zu den herausragenden Lyrikern Lateinamerikas zählt Gustav Siebenmann den Argentinier jüdischer Abstammung Juan Gelman, der seit der Zeit der Militärdiktatur im mexikanischen Exil lebt. Seit 1986 schreibe Gelman, der Bitteres erlebt hat, Verse von einer "schier unvorstellbaren Zärtlichkeit", zitiert Siebenmann den Dichter Cortázar. Gelman habe sich dafür in die Tradition der aus Spanien im 15. Jahrhundert vertriebenen Sephardim begeben, er hat 29 ein- bis dreistrophige, ungereimte Poeme getextet, die in "altertümelnder" Sprache den Kreislauf der Natur und das "Hohelied der Liebe" preisen. Die Übersetzung ins Deutsche (die Übertragung ins Spanische besorgte der Autor) arbeite die kleinen Variationen dieser Liedtexte, schreibt Siebenmann, einfühlsam hervor.
(Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung - www.perlentaucher.de - Das Kulturmagazin)
Poetischer Avantgardist
Gelman gilt heute als Mahner in Menschenrechtsfragen. Wider Erwarten ist er als poetischer Avantgardist ohne kämpferische Attitüden. Er benennt Welterfahrungen, für die es noch keine Namen gibt. Dabei springt er über grammatische Grenzen, verbindet Bestandteile von Substantiven und Verben zu neuen Wortgebilden, die vor allem eines sind: mehrdeutig.
Im 29-teiligen Liebesgedicht ist er auf Spurensuche zwischen dem Spanischen und Sephardischen, jener Sprache, die die 1492 aus Spanien vertriebenen Juden noch jahrhundertelang im Osmanischen Reich zu gebrauchen wussten. Ein Dichter des melancholischen Erinnerns aber ist er keineswegs.
Dorothea von Törne (Die literarische Welt)
Sonne sammeln
Juan Gelman entdeckt sein sephardisches Erbe
Unter diesem Titel und Untertitel schrieb Karl Markus Gauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine lesenswerte Rezension über die sephardischen Gedichte von Juan Gelman.