Henry Luque Muñoz: Alquimista de sueños - Alchimist der Träume

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Alquimista de sueños - Alchimist der Träume

Gedichte: zweisprachig (Spanisch - Deutsch)

ISBN 978-3-929208-74-1

Einband, broschiert, fadengeheftet
96 Seiten
13,5 x 20 cm
15,00 Eur[D] / 16,00 Eur[A/CH]

Titelbild von Juana Burghardt. Herausgegeben, ausgewählt und aus dem kolumbianischen Spanisch von Juana und Tobias Burghardt

Verlag im Wald, Rimbach (Bayrischer Wald)/Edition Delta, Stuttgart

HORMIGAS

¿Qué les diré?
Cuando vengan a pedirme cuentas,
Cuando vengan de casa en casa
Con todo su hermoso pueblo y el trabajo a cuestas.
¿Qué les diré?
¡Si no he escrito un solo verso este verano!

AMEISEN

Was soll ich ihnen sagen?
Wenn ich mich vor ihnen rechtfertigen muss.
Wenn sie von Haus zu Haus gehen.
Das wunderbare Volk, mit der Arbeit auf dem Rücken.
Was soll ich ihnen sagen?
Da ich diesen Sommer keinen einzigen Vers schrieb!

Werkauswahl des kolumbianischen Dichters Henry Luque Muñoz (1944-2005)

KOMPASS

In manchen Büchern blättert man ahnungslos und plötzlich schlagen sie zu. Man ist mit einem Male wehrlos vor Begeisterung. So ging es mir bei diesem Gedicht: "KOMPASS Vom Grund des Ozeans / Nach der Stärkung durch die Transparenz / Der nachtwandlerischen Wurzeln, / Nach der Umarmung des Steinhorns / Und dem Klopfen an der Tür der versunkenen Götter, / Sobald die Sonne auf Befehl des Windes strandet, / Ohne im Schädel / Die Sanftheit des himmlischen Bildes zu verlieren, Auch nicht die in den Mulden erblühte Orchidee / Mit ihrem Kompassinstinkt, / Während sie das Wasser schneidet wie eine Papaya und / Fingernagel an Fingernagel ihr Wort geschrieben steht, / Wird der Ertrunkene wiederkehren / Vor unseren furchtlosen Augen."

Wie heißt der Dichter? Henry Luque Muñoz. Er wurde 1944 in Bogotá in Kolumbien geboren. Am 1. März dieses Jahres starb er. Ich war erschrocken. Kaum lerne ich einen Autor kennen, ist er tot. Eine blödsinnige Empfindung. Aber ich hatte mich so sehr identifiziert mit diesen furchtlosen Augen, die das Geheimnis betrachten und selbst im Schrecklichen das Schöne erkennen, dass es für den winzigen Bruchteil einer Sekunde so war als erführe ich meinen eigenen Tod als ich von dem des Dichters erfuhr. Diese Verse hatten mich empfindlich gemacht, eine Lauge, in der ich eingeweicht worden war. Die schützende Hornhaut war abgefallen. Nun war ich wehrlos. Ich erkannte die Liebe: "Ich wollte andere Welten entdecken / Und baute eine Karavelle. / Nach langen Jahren kehrte ich, / Wie Marco Polo, zu meinen Ursprüngen zurück. / Daheim lief ich an einem grünen Sandstrand ein. / Da befand sich das Land, das ich suchte. / Da lag dein Körper, / Gebadet in den Gewässern des Traums."

Und zum Abschied noch einmal das erste Gedicht. Diesmal auf Spanisch: "BRÚJULA Desde el fondo del océano / Luego de nutrirse de la transparencia / De las raíces sonámbulas / Después de abrazar el cuerno de la piedra / Y llamar a la puerta de los dioses sumergidos / Apenas el sol encalle por orden del viento / Sin perder en el cráneo / La caricia de la imagen celeste / Ni la orquídea florecida en las cuencas / Con su instinto de brújula / Mientras corta el agua como a una papaya / Escrita ya una a una su palabra / Volverá el ahogado / Ante nuestros impávidos ojos."

Arno Widmann, Die Bücherkolumne: Vom Nachttisch geräumt