SÉPTIMA POESÍA VERTICAL - SIEBTE VERTIKALE POESIE
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SÉPTIMA POESÍA VERTICAL - SIEBTE VERTIKALE POESIE
Gedichte, zweisprachig: Spanisch - Deutsch
ISBN 978-3-927648-57-9
Einband, broschiert
241 Seiten
14 × 21 cm
20,00 Eur[D] / 22,00 Eur[A/CH]
Juarroz-Werkausgabe Band 4. Einzeltitel aus dem Jahr 1982 in einem zweisprachigen Band. Herausgegeben und aus dem Spanischen von Juana und Tobias Burghardt. Umschlaggestaltung von Juana Burghardt
Edition Delta, Stuttgart 2017
Jedes Wort ruft nach einem anderen Wort.
Jedes Wort ist ein sprachlicher Magnet,
ein Pol wandelbarer Anziehungskraft,
der stets neue Konstellationen einweiht.
Ein Wort ist die ganze Sprache,
aber auch der Ursprung
aller Sprachverstöße,
der Grund, auf dem sich stets eine Gegensprache bekräftigt.
Ein Wort ist noch der Mensch.
Zwei Worte sind schon der Abgrund.
Ein Wort kann eine Tür öffnen.
Zwei Worte tilgen sie.
(VII-9)
Gesten und Wörter
Über Roberto Juarroz und seine »Siebte Vertikale Poesie«
Südamerikanische Dichtung ist zwischen zwei Pole gespannt, einmal Mimesis der tropischen Welt, ihrer Härte, Üppigkeit, ihrem Blühen, Vergehen, ihrer sensuellen Vielfalt, etwa bei Pablo Neruda oder Carrera Andrade, und eine Dichtung, die philosophisch ist und die Kunst, Literatur und Dichtung wieder selbst befragt, etwa bei Jorge Luis Borges oder Octavio Paz. Roberto Juarroz könnte man zu den letzteren Dichtern rechnen, denn seine Dichtung ist Erkenntnis-und Daseins-Fragen gewidmet. Eine Dichtung, die nach dem Sinn und den Möglichkeiten der poetischen Schöpfung fragt. Ihm geht es um eine Phänomenologie, die die herkömmlichen Ordnungen und Abgrenzungen in der Dichtung in Frage stellt. 1925 bei Buenos Aires geboren und 1995 in Buenos Aires gestorben, hat Roberto Juarroz aber keine komplizierten Textgebilde verfasst, es sind dinglich-sprachliche Meditationstexte, die mit ihren Worten den Weg der Dichtung selbst ausschreiten. Juarroz hat dafür den Begriff »Vertikale Poesie« gefunden, eine vektorielle Bewegung, die ständig ausmisst, was zur Existenz des Dichters in einem Gedicht gesagt werden kann und was nicht. Dabei sind ihm Gesten wichtig, Blicke, konkrete Dinge, die er mit Hilfe der Vertikalität prüft. Seine »Vertikale Poesie« hat er in vierzehn Gedichtbüchern gesammelt, die alle durchnummeriert sind und alle den gleichen Titel tragen: »Vertikale Poesie« (Poesía vertical), von eins bis vierzehn. Die Edition Delta in Stuttgart hat sich vorgenommen, alle Bände der vertikalen Poesie, von Juana und Tobias Burghardt ins Deutsche übertragen, herauszubringen. Bisher liegen die Doppelbände 1, 2 und 3 mit insgesamt sechs Titeln daraus vor. Nun ist Band 4 erschienen: die »Siebte vertikale Poesie«.
Auch in diesem Band findet sich das Juarroz'sche Prinzip der Vertikalität. Schon das erste Gedicht im Band zeigt den vertikalen Ansatz. »Die eigene Hand als Kissen nehmen ... «, im Rückbezug zum eigenen Körper ist zu prüfen, was zur Dichtung taugt und was nicht. Die Hand und das Kissen (Schlaf, Traum), die das eigene Sein umfassen und den Vergleich mit Himmel, Wolken, Erde, Baum und Laub herstellen. In der zweiten Strophe folgt: »nur so kann man das Lied/ ohne Entfernung hören/ das Lied, das nicht ins Ohr geht/ weil es im Ohr ist ...« (und) das Gedicht in die Sentenz mündet: »Jeder Mensch braucht/ ein unübersetzbares Lied.«
Das Gedicht verbindet den schöpferischen Vorgang mit einer Reflexion darüber. Ausgehend vom eigenen Körper wird der Bogen über Luft, Erde, Pflanze bis zum »Lied« geschlagen und dieses Lied, die dichterische Aussage, ist unmittelbar und ohne dass sie etwas nachahmt oder wiederholt, jedem Menschen zu eigen. Von fern erinnert Juarroz in seinem kargen Wortmaterial und an der »undichterischen« Zusammenfügung an Josef Beuys, denn auch für Roberto Juarroz ist Dichtung nichts Exklusives, sie ist (Denk)Material und jedem Menschen zugänglich, sie ist nicht hermetisch, nicht symbolisch oder nimmt zu irgendetwas Stellung. Oft sind in den Gedichten Hinweise auf Gesten, Rhythmen, auf alltägliche Verrichtungen zu finden, sie sind einem phänomenologischen Feld zugeordnet, das in alle Ecken gewissermaßen ausgeschritten wird. »Die Handlinien aufknäulen/ und ihre Deutung verwirren,/ damit etwas Wirkliches ins Netz fällt ... Denn man muss das Wenige, das existiert, sammeln/ und das, was nicht existiert, erschaffen,/ wenngleich man den Menschenklang vergessen müsste.«
Der Leser kommt mit den Gedichten ins Gespräch, denn sie sind keine abgeschlossenen Gebilde, sie gehen vektoriell weiter und weiter, sind dabei überaus heiter und gelassen, vermitteln Ruhe, die bestimmten Gefühlen und Erfahrungen entspricht, die Dinge werden benannt, die zum Inventar des Dichters gehören. Der Körper, die Sachen, der Andere, der Freund, die Geliebte.
»Ich bin mit dir./ Aber über deiner Schulter/ verabschiedet sich von mir deine Hand, die sich entfernt./ Dann halte ich meine Hand zurück/ damit sie uns nicht auch verrät.//« Der Abschied wird nicht in eine Sehnsucht gepackt, zum Abschied gehört eine Geste und eine Feststellung, die etwas über den Abschied sagt. Juarroz weist so auf den Zweifel hin, der jeden Abschied, gerade des geliebten Menschen begleitet, als ob jeder Abschied ein kleiner Verrat sei. Abschied ist ein existenzieller Moment, wie wird man sich wiedersehen? Die Hand zeigt das unwillkürlich und Juarroz schaut auf diese Hand und ruft uns ihre Geste ins Gedächtnis.
Roberto Juarroz bleibt den Erscheinungen, den Dingen auf der Spur, er fügt sie in einer vielfältigen Kombinations-Poesie zusammen und entgeht jeder Psychologisierung wie auch der Frage nach dem dichterischen Ich etc. Überhaupt ist diese Dichtung nicht subjektivistisch, sie spricht von Vorgängen und Beobachtungen. »Der Mensch ist immer/ der Baumeister eines Kerkers./ Und man kennt einen Menschen nicht,/ bis man weiß, welchen Kerker er gebaut hat.//«
Roberto Juarroz' Gedichte sind philosophische Wortfelder, die von den Phänomenen ausgehen, also dem Anschauen und Beschreiben (ohne zu urteilen) und im Wortspiel Erkenntnisse ermöglichen. Er beschränkt sich auf Dinge und unmittelbare Wahrnehmungen, er ist unpsychologisch. Wortfeld, Wortraum, Öffnung zu einem dichterischen Gespräch. Denn das ist auch ein Gehalt dieser Gedichte, man kann wie auf einer Agora an den Dichter herantreten und erfahren, wie Wörter in ihrem eigenen Sinn das Gespräch befördern, so wie es die Hand tut, die über den Kopf streicht.
Matthias Ulrich, NOXIANA – Zeitschrift für Literatur und Zeichnung,
Nr. 41, Winter 2017/2018